Im Studentenbüro war es schön leer. Genau zur richtigen Zeit, dachte ich. Die Büroleiterin war ganz anderer Meinung.
„Da sind Sie ja endlich! Wo haben Sie denn gesteckt? Wir dachten schon, Sie sind gar nicht angereist.“
„Wieso denn? Musste man denn Punkt elf da sein?“
„Aber selbstverständlich! Deshalb machen wir die Termine!“
Erstaunlich immer wieder, wie schnell sich die gute Laune von so einem Besen wegfegen lässt. Das kann einen richtig traurig machen, dass die so ohne jeden Widerstand einfach das Feld räumt. Als ob der Besen mehr Daseinsberechtigung hätte, nur weil er so einen Wirbel macht.
Der Bahnhof rief sowieso, ich war bereit, nicht nur mein Gepäck, sondern auch gleich den nächsten Zug zurück in meine kleine Heimatstadt zu nehmen, wenn jetzt alle Betten weg waren. Zu so einem verbissenen Laden wollte ich nicht gehören.
Aber nix da: Der Besen schob mir einen Zettel mit Adresse und Zimmernummer über den Tisch und kommandierte: „Vierzig Mark im Monat! Hier unterschreiben!“
Wenn du ein Stück mit der Straßenbahn aus der schönen Messe-Innenstadt rausgefahren bist, hast du auch in Leipzig jede Menge Elend sehen können. Nicht nur das. Ich sollte sogar für die nächsten Jahre in einem wohnen.
Meins hatte an diesem Tag die sozialistische Gestalt von fünf nagelneuen aneinandergeklebten Plattenbauwohnblocks angenommen. Schon wieder rief der Bahnhof, aber ich machte die Ohren zu und kämpfte mich durch die Baustellenwüste mit selbstgebastelten Wegen und jeder Menge Extradreckstaub bis zu Nummer 42 durch. Am Eingang ergriff ich das Geländer wie einen Rettungsring. Doch es war noch nicht vorbei mit dem Elend. Weiter ging es über nackte Betontreppen zur Etage drei und einem langen öden Flur mit einer Gemeinschaftsküche, einigen Zweierzimmern für Verlobte oder Verheiratete und Viererzimmern für den Rest. Am Ende vier Duschen, vier Toiletten und Nummer 328.
Jetzt denkst du schon wieder, es ist endlich vorbei mit dem Elend, jetzt bist du durch, aber nix. Stattdessen neverending Elend. Und genau wie das Elend machst du auch einfach immer weiter, robotermäßig, immer weiter und weiter, weil du in deinem Kopf gar keine Energie mehr hast für Alternativen. Die Situationen, die dir bekannt vorkamen, sind nämlich schon längst aus. Du machst, was grad dran ist und manchmal nicht mal das. Ich zum Beispiel mach was ganz Blödes. Ich sag: „Hab′ gehört, hier soll noch ein Bett frei sein.“ Die drei
Mädels an dem Tisch frieren ein wie in dem Spiel, wo die Musik aufhört und alle müssen so stehen bleiben: Kaffeetasse halbe Höhe, Kuchengabel an der Nase, Bissen mitten im Hals.
Ich werfe meine Tasche gekonnt zwischen die beiden Doppelstockbetten, aber das sieht keiner, denn die stehen hinter zwei großen Schränken, wichtig ist ja auch nur der Krach, den so eine geworfene Tasche machen kann, damit die drei am Tisch wieder aus dem Schockgefrierer geholt werden. Und plötzlich ganz viel Bewegung. Eine geht die Tassen abwaschen, eine zeigt auf ein Bett und einen Schrank, die dritte fragt streng:
„Welche Seminargruppe?“
„Null eins“, antworte ich zackig und meine Hände wollen zur Hosennaht.
„Wir sind Null zwei.“
Und dann endlich Elendsende und Erleichterung, beidseitig.
...
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