Ich verstand voll und ganz, dass er nicht hierher passte und wegwollte. In die große Freiheit. Drunter machte er es nicht. Oder er hatte einfach keine Lust mehr, sein Leben mit dem real existierenden Schwachsinn da draußen zu verschwenden. Ich ja auch nicht. Da musste ich nur an den Morgen denken, wo ich eine Stunde lang ein funktionierendes Telefon gesucht hatte, um Elisabeth anzurufen. In der Zeit hätte ich locker zu ihr laufen können. Als ich endlich eins gefunden hatte, war Elisabeth gerade aus der Wohnung raus. An einem Kiosk vor der Post hatte ich dann eine Viertelstunde für einen kleinen Kaffee in einem dünnen Pappbecher angestanden. Der Becher war aus alten Zeitungen hergestellt und nicht für heiße Getränke geeignet, denn nach zehn Sekunden war er durchgeweicht. Ich verbrühte mir so mörderisch die Finger, dass ich ihn fallen lassen musste. Sie konnten es einfach nicht.
Wenn man so was erlebte, hatte man auch nicht mehr so ichts aufschreiben konnte. Das Problem war, dass es nie um die Brandblasen ging, sondern immer nur ums große Ganze, zum Beispiel den ständig lauernden Klassenfeind.
Im November ging der vom Lauern zur Tat über und beschloss die Stationierung von Pershing II mit Atomsprengköpfen in der BRD. Auf keinen Fall konnte das ignoriert werden.
Um die FDJ-Sekretäre einzunorden, war extra ein Oberkompass von der SED-Parteileitung an die Schule gekommen. Nach einer Rede über die Aggressivität des Imperialismus und seiner Atomwaffen behauptete er: „Die Schülerinnen und Schüler dieser Schule haben sich deshalb entschlossen, eine Protestresolution zu unterschreiben, die sich gegen die Stationierung in der BRD ausspricht.“
War ich wohl grad nicht da. Wär aber auch egal gewesen, weil gefragt hat einen auch niemand, wenn man da war. Da gingen dann einfach irgendwann die Listen rum, auf denen man unterschreiben musste.
Bei Nelson Mandela war das okay, aber jetzt war man gleich gegen Frieden und Fortschritt in der Welt, wenn man nicht unterschrieb. Jedenfalls behauptete der Oberkompass das. Auf gar keinen Fall durften da durch Passivität oder gar Pazifismus feindlichen amerikanischen Kräften Tür und Tor geöffnet werden.
Da war der genau richtig bei mir, denn ich hatte gerade in Deutsch voller Freude einer feindlichen amerikanischen Kraft namens Caulfield alles, was an Türen und Toren nur ging, sperrangelweit geöffnet.
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